Meinem Handy zufolge sollte der Stellplatz der Nacht ein Parkplatz neben einem Fussballplatz und einem Schwimmbad in einem kleinen Nest zwischen Reggio Emilia und Modena sein. Ohne kritisches Hinterfragen folgte ich diesen Anweisungen und parkte zwischen ein paar Minivans, die gerade zukünftige Fussballprofis vom Training abholten. Nach einer kleiner Erholungspause von der Fahrt in dieses Urlaubsparadies, gab mir meine Nase zu verstehen, dass es wohl mal so langsam Zeit für eine Dusche wäre und überhaupt saß ich bei 32°C auf einem Parkplatz unter glühend heißem Sonnenschein und sehnte mich ein wenig nach der Abkühlung des deutschen Klimas. Aber wie sich die Dinge bei mir immer so fügen, saß ich ja direkt neben besagtem Schwimmbad, welches zu meinem Glück noch 20 Minuten geöffnet hatte. Rein in die Badehose und schnell über den Parkplatz ins kühle Nass. Ein kleiner Plausch auf italienisch am Eingang, von dem ich leider nicht viel verstehen konnte, sich aber später rausstellte, dass ich ohne Badekappe nicht ins Becken gehen darf. Das italienische Wort für Badekappe war mir in diesem Moment leider entfallen, aber jetzt habe ich es wieder in meinem Repertoire. Naja, eine nette Bademeisterin hat mir dann eine aus ihrem Schrank ausgeliehen, die aber sehr wahrscheinlich nur auf einen Kinderkopf hätten passen können. Gut, wenn die Bedingung für meine Erfrischung eine Stauchung meines Nebenhirns ist, sei es drum. Ein paar Bahnen in erfrischendem Chlor und dann sogar noch die ersehnte Dusche beim rausgehen. Zufrieden über diesen Erfolg setzte ich mich wieder in mein mobiles Heim mit Blick auf den Asphalt und genoss die letzten Sonnenstrahlen des Tages, die auf einmal gar nicht mehr so penetrant daher schienen. Und in meinem da so vor mich hinsitzen radelt ein gut gelaunter Francesco ohne T-Shirt aber mit einem breiten Grinsen an mir vorbei. Francesco, das ist der Name mit dem er sich mir vorstellte, als er auf einmal vor mir stand. In gebrochenem, aber sehr gut verständlichem Englisch meinte er zu mir, als er mich dort so sitzen gesehen habe, sagte er zu sich selbst „fuck you“ (meinte aber wohl ‚fuck it‘, also scheiß drauf) und beschloss mich wenigstens für eine kurze Unterhaltung anzusprechen. Francesco erzählte mir von seinen Plänen im Oktober zusammen mit seiner Freundin nach Australien zu gehen, um dort ein wenig zu jobben und dann mit dem ersparten Geld ebenfalls einen Van zu kaufen und durchs Land zu ziehen. Wir unterhielten uns dann doch noch eine Weile und er lud mich ein, zusammen mit ihm in den angrenzenden Park zu kommen, zu dem er gerade auf dem Weg gewesen war. Was hatte ich schon besseres zu tun und so unterhielten wir uns dort dann auch noch ein gutes Stück länger. Über Gott und die Welt, im wahrsten Sinne des Wortes. Darüber, dass er sich inzwischen nicht mehr wirklich mit der Kirche identifizieren könne, so wie es ihm in einem kleinen italienischem Dorf anerzogen wurde, aber er sich dennoch sicher ist, dass dort zumindest irgendwas größeres sein muss. Wir tauschten Reiseberichte aus, Zukunftspläne und ruderten schon fast in Richtung der höheren Philosophie, sofern es uns in der jeweiligen Zweitsprache möglich war. Er erzählte mir aber auch von einem Unfall, in den er vor ein paar Jahren verwickelt war und ihn ins Koma gebracht hat. Eine Woche lang und dann gab ihm das Leben doch noch eine zweite Chance. Und diese Chance sollte gut genutzt werden. Zwar nicht abrupt von einem auf den anderen Tag, wie er mir erklärte, aber Schritt für Schritt änderten sich seine Herangehensweisen und Betrachtungen auf das Leben. Er fing an zu Reisen und entdeckte darin einen wahren Wert für sein Leben. Auch hin und wieder alleine und nur mit sich selbst zu reisen, schätzt er ebenso sehr wehrt. Davor habe Francesco sein ganzes Leben in diesem kleinen Dorf verbracht, gleichzeitig war er mächtig erstaunt, darüber dass sich ein Reisender aus Berlin hierher verirrt hatte. Studiert hat er Molekularbiologie und wurde daran anschließend in einer örtlichen Fabrik in dieser Branche tätig. Er hatte seinen Fuß zwangsweise aber schon seit er 14 war in der Arbeitswelt, weil das Geld auf dem Land im allgemeinen immer knapp ist, wie er mir berichtet. Ein Problem mit dem im ganzen Lande gekämpft wird. Nach dem Unfall konnte er dann in diesem Betrieb bleiben, ließ sich aber in eine anderes Department versetzten. Mehr physische Arbeit als vorher, aber weniger Anstrengung für seinen Geist. Wir unterhielten uns so lange bis dann die Sonne schon längst verschwunden war und wir aufbrachen, da er zum Abendessen (21:30 Uhr) mit ein paar anderen Freunden verabredet war. In seiner grenzenlosen Freundlichkeit und verständnisvoll wie er ist, lud er mich ebenfalls zu diesem Treffen ein, da er sich vorstellen könne, dass man als einsamer Reisender solch eine Möglichkeit gerne mal mitnehmen würde. Und damit hatte er recht, ich lehnte jedoch erstmal dankend ab, da die Vorstellung von 5-6 Italienern am Abendbrotstisch mit mir als Fremden dazwischen ein wenig respekteinflößend war. Also verabschiedeten wir uns und er radelte davon. Und ich blieb zurück im Van, drauf und dran mir mein eigenes Dinner zuzubereiten, aber es erschien mir doch ein wenig sinnentfreit jetzt hier alleine auf einem Parkplatz zu speisen, wenn ich die Möglichkeit gehabt hätte, mit echten Locals in geselliger Runde den Abend zu verbringen. Glücklicherweise haben wir vor dem Abschied unsere Nummern ausgetauscht, um uns gegenseitig von Abenteuern auf der ganzen Welt zu berichten und ich nutzte die Chance um ihn nochmal zu kontaktieren.
Aus Abendessen wurde dann aber Gelato gegen halb elf (die Gelateria war dennoch brechend voll) und die erste Frage, der ich mich auch diesmal stellen musste, lautete: Wie zum Teufel sich ein junger Mensch aus dem Norden Deutschlands in einem kleinen Örtchen wie Bomporto verlaufen können. Wir waren im Endeffekt dann doch nur zu viert und nachdem das Eis verputzt wurde, stellte Francesco die Einladung in den Raum, sich noch zu ihm in den Garten zu setzten. Stolz berichtete er mir, er könne mir sogar bayerisches Bier aus dem Kühlschrank anbieten. Dieses Mal würde ich die Chance auf solch ein Erlebnis nicht verpassen und wir machten uns auf den Weg. Dort haben wir uns dann gegenseitig großartige Gesprächsthemen und Bier gereicht. Bier, welches eigentlich aus Holland kommt, auf dem Etikett aber ganz groß mit Bavaria prallt, wie wir herausfanden. An diesem Abend sollte ich noch viel über das Leben in Italien von der echten Bevölkerung fernab vom Tourismus erfahren. Es wurde soziologisch, es wurde politisch, wir verglichen Kultur und Wirtschaft mit Deutschland, redeten über Auswirkungen vom Krieg auf die jeweiligen Länder, kamen irgendwann sogar bei Themen wie die Mafia und Regierung an, die hier Hand in Hand spazieren gehen. Aber auch die italienische Kulinarik habe ich mir erklären lassen. Von nun an werde ich wohl auch in Deutschland Produkte von Barilla meiden, habe mir aber gleichzeitig eine Liste ihrer Lieblingsrotweine geben lassen. In Italien hat man anscheinend nicht den einen Favoriten unter den Weinen, was mir nicht klar war. Es kann sich aber auf ein bis zwei Spitzenreiter aus jeder Region (davon gibt es insgesamt um die 20 in ganz Italien) geeinigt werden. Rot und Weiß gesondert, versteht sich.
Nach einem sehr langen und von Intellekt angereichertem Abend mit höchst interessanten Begegnungen, fiel ich gegen halb zwei dann doch noch auf dem ursprünglichem Parkplatz ins Bett…