Meine erste Nacht im neuen Land habe ich vor Marseille in ruhiger Idylle zwischen hohen Bäumen in einem Nationalpark verbracht.
Viel habe ich bis dahin ja noch nicht von Frankreich gesehen, aber auf meinem Weg von Monaco hierher haben sich eigentlich nur die Farben der Verkehrsschilder geändert, ansonsten fühlte sich alles noch ziemlich nach Italien an. Bis auf die leuchtenden Zahlen, die alle paar Kilometer am Rande der Straße auftauchten und den Spritpreis durchs Dunkel der Nacht projezieren. Fast schon ein Vielfaches vom italienischen Preis und mein Tank war leider auch bald schon völlig leer gefressen von den zurückgelegten Kilometern.
Erst am nächsten Morgen in der Stadt spürte ich deutlich, dass ich nicht mehr durch die Gassen Italiens zog, denn der Duft Frankreichs lag in der Luft. Franzosen müssen wohl alle ziemlich klein sein um in die Autos zu passen, für welche die Parkhäuser des Landes ausgelegt sind. Mit dem Van und seinen 2 Metern Höhe konnte ich mich nämlich keineswegs unter den Höhenbegrenzungen von teilweise nur 1,70 m durchquetschen. Da die Straßen Marseilles für Camper aber zu den unsichersten Europas gehören, blieb mir keine Wahl, als die Suche nach einem geeigneten Parkhaus nicht aufzugeben. Mein Morgen begann also mit langer Fahrerei durch die belebte Stadt, bis ich endlich eine geeignete Unterkunft für mein Gefährt fand, die mir noch 4cm Spielraum nach oben versprach. Da war ich doch schon etwas bedient, aber sichtlich froh von nun an auf meinen eigenen zwei Füßen die Stadt erkunden zu können. Bis jetzt, gerade nach der Romanze mit Italien, schien mir Frankreich als noch kein sehr sympathischer Ort.
Doch schon zwei Ecken weiter gelangte ich auf die „La Canebière“ und durfte beobachten, wie gerade die ersten Holztische aufgeklappt wurden und der Markt sich im wärmenden Licht der ersten Sonnenstrahlen, die gerade über die Häuserdächer kletterten, erbaute. Der Stand am Kopfe des Marktes, der mir am nächsten war, servierte auch genau das, was ich jetzt brauchte. Kaffee. Importiert aus den exquisitesten Ecken der Welt und frisch geröstet hier in Marseille. Sogar einen Cappuccino konnten die beiden Barista/Verkäuferinnen daraus zaubern. Und als ich dann glatte 4 Euro für mein Warmgetränk bezahlen durfte, wusste ich: Ich bin zurück in Europa. Wundervoll! Mit meinem recyclebarem Pappbecher, an dem der Schaum der Hafermilch herunterlief (mehr Europa geht nicht), schlenderte ich den Markt hinunter Richtung Hafen und sog die Atmosphäre dieser modernen Stadt am Morgen ein.
Das erste Ziel auf meiner Marseille-Liste war die berühmte Kathedrale. Leider liegt diese ausgerechnet am höchsten Punkt der Stadt auf einem Gipfel am äußeren Ring der Stadt. So begann ich also meine Wanderung durch das urbane Gelände und landete auf halber Höhe in einem schattigen Park auf einer Bank mit Blick auf den Hafen um eine Pause einzulegen. Von dort aus erstreckte sich die Stadt schon so halbwegs durch das Dickicht der Baumkronen, doch dieser Ausblick war nichts im Gegensatz zu jenem, der mich ein paar hundert Meter bergauf erwartete.
Also weiter hinauf, wobei die letzten Meter steil gen Himmel unter der immer kräftiger werdenden Sonne fast schon existenzbedrohend waren. Doch als ich meinen Fuß über die Schwelle der höchsten Treppenstufe hievte, wurde ich reichlich für jegliche Anstrengung entlohnt. Die bergige Landschaft Südfrankreichs im Rücken, das Meer und kleine felsige Inseln vor der Nase.
Mit meinen Blicken folge ich einem Boot, welches den Hafen Marseilles ansteuert und ein paar Meter weiter erstreckte sich die Metropole aus gedrängten Betonbauten in alle Himmelsrichtungen. Es herrscht ein reges Treiben unten am Hafen und enges Häusergekuschel je weiter man mit seinen Blicken von dort wegschweift. Die Kirche an sich habe ich im Endeffekt nicht besichtigt, aber nach dieser Aussicht hätte die Wirkung des Bauwerkes auch nur enttäuschend sein können.
Es herrscht immer noch diese einzigartige Atmosphäre des Morgens, die Sonne steht inzwischen schon hoch, eine kühle Brise zieht durch die Luft. In diesem Zuge bereite ich mich vor, mich wieder hinunter und ins Getümmel zu werfen.
Auf meinem Weg hinab ins Zentrum fiel mir auf, welche kontrastreiche Atmosphäre zwischen den Häuserschluchten doch herrscht. Der Geruch von Zimtschnecken aus der Bäckerei nebenan schwebt hinaus und liegt über der Straße, aber um die nächste Ecke schon wartet ein stechender Duft von Urin. Genauso laufen Frauen und Männer in Bluse und Anzug erhobenen Hauptes durch die Gassen und würdigen den Heimatlosen auf dem Gehsteig mit zerfetzten Klamotten keines Blickes.
Bis ich wieder wirklich unten angekommen bin, war es fast Mittag. Die ersten Restaurants öffneten ihre Pforten und der Geruch von frischem Fisch überdeckte nun den der Gebäckstücke. Wenig später konnte ich die Fänge des Morgens auch in der Auslage der Lokale erblicken, einladend zwischen Champagnerflasche auf Eis präsentiert.
Als ich es zum Ufer des Meeres geschafft hatte, beobachtete ich Straßenkünstler am Hafen, die die Menschenmassen unter einem riesigem Spiegelkunstwerkunterhielten. In erster Linie spendet die Skulptur natürlich Schatten, bietet aber auch die Möglichkeit eines einzigartigen Blickwinkels auf die Vorführung aus mehreren Perspektiven. Entlang des Wassers sind Stände mit Souvenirartikeln und Mitbringsel aufgestellt, die Schlange aus Holzhütten zieht sich mehrere hundert Meter bis hin zum Place d’Armes.
Diese alte Festung steht auf einer Halbinsel am Ende des Hafens und bietet Besuchern die Besichtigung des Gemäuer, des Labyrinths im Innern und mehr an. Man kann die Inseln entlang der Burgmauern einmal umrunden und landet dann auf der anderen Seite mit Blick auf das modernere Museum der Zivilisation direkt daneben. Dieses steht ebenfalls auf dem Wasser, liegt aber auf einer künstlich angelegten Insel aus Beton.
Von den Museumsinseln fällt mein Blick auf die zweite Basilika der Stadt. Zwar nicht in dieser konkurrenzlosen Lage erbaut wie die bekanntere der beiden, dennoch für mich fast schon bezaubernder. Mir fällt auf, dass ich so langsam in den Trott komme, immer die gleichen Worte für die Beschreibung der zahlreichen Gotteshäuser auf meiner Reise zu benutzen. Mächtig, pompös, prunkvoll, … . Davon trifft auch diesmal alles auf die ‚Cathèdrale La Major‘ zu, dennoch besaß jede Kirche auf der Route auch ein Alleinstellungsmerkmal, welches über pompös weit hinausging. Neben der enormen Größe des Bauwerkes, ist es bei dieser definitiv der innere Aufbau. Sie besitzt nämlich nicht nur einen Altar im Mittelschiff, sondern gleich drei weitere. Kleiner aber mindestens genauso beschmückt, liegen sie in einem Halbkreis um und hinter dem Hauptaltar und streben jeweils einen völlig verschiedene Stil an. Der Altar links vom Mittelschiff ist zurzeit verhangen, da vor diesem das Model der historischen Stadt Jerusalem in gigantischem Ausmaße aus Holz aufgestellt wurde.
Ansonsten das Übliche. Beeindruckend hohe Decke, einzigartige Glasmalereien und edle Gemälde. Und dazwischen tausende Menschen mit Handys und Selfiesticks auf der Suche nach dem nächsten Schnappschuss.
Nachdem ich mich bei wohligen 16 Grad in den Kirchengemäuern in Ruhe akklimatisiert hatte, zog ich weiter ins älteste Stadtviertel der Stadt. Le Panier. Durch enge Gassen ging es hinein in ein völlig anderes Reich, fernab von den Menschenmassen und dem Highspeed-Tourismus. Die Häuser stehen dort dicht an dicht in maritimen Look beieinander, bunt bemalt mit verschiedensten Kunstwerken, die jeder Fassade einen eigenen Charakter verleihen. Ich folgte der Spur der Graffiti und landete auf einem kleinen Marktplatz mit Live Music. In der brütenden Hitze hat sich dort eine Band aus 4 Leuten platziert um die Gesellschaft der umliegenden Cafés, Crêperien und Bars zu unterhalten.
Ein Stück weiter reihen sich kleine Kleidungsboutiquen mit zeitgenössischen Designs, überwiegend hergestellt in der Umgebung, aneinander. Das Gefühl vom modernen Europa ist hier zu Hause, in dem Kleidung sowohl Ausdruck von eigener Identität, als auch ein politisches Statement sein kann.
Als ich das Viertel wieder verließ stellte sich mir ein ganz anderes Symbol Europas entgegen, die Galeria LaFayette an der Hauptstraße. Hier werden sicherlich keine lokale Einzelstücke angeboten, trotzdem ein Sinnbild für den westlichen Luxus, alle möglichen Produkte dieser Welt an einem Ort vorfinden zu können. Doch fürs erste kann man hier nur den Wocheneinkauf erledigen, denn die Mall ist gerade noch im Aufbau um die amerikanische Designs aus den malerischen Fabriken Bangladeschs nach Marseille zu bringen.
So habe ich aber nun den am Morgen geplanten Rundwanderweg durch die Stadt wieder geschlossen und konnte noch schnell zurück zum Markt eilen um die Kaffeebohnen von Corto zu ergattern. Selbst an den kleinen Klapptischständen war Kartenzahlung möglich. Europa.
Um die letzte Sehenswürdigkeit auf meiner Liste zu erreichen, musste ich nochmal ein wenig bergauf und stadteinwärts wandern. Hier konnte ich dann den Wasserfall am Palais Longchamp bewundern, während ich eine grandiose 2 Euro Pizza genoss. Daraufhin noch ein Verdauungsspaziergang durch den angrenzenden Park, aber die Sonne ließ auf die kleinen Rasenflächen ohne Schatten alles nieder, was sie zu bieten hatte, also war dies auch nur von kurzer Dauer.
Über kleinen Umweg über das ‚La Friche‘ Gelände machte ich mich auf und zurück zum Auto. Dort angekommen konnte ich nur beten, dass ich die Decke des Parkhauses auch beim Hinausfahren nicht streifen würde. Aber mit Millimeterarbeit hat alles geklappt und der Van wurde wieder sicher auf die Autobahn manövriert. Dort verweilte ich 2 Stunden lang um am späten Nachmittag die Ausfahrt nach Montpellier zu nehmen.
Vor den Toren der Altstadt konnte ich nach langer Parkplatzsuche dann endlich wieder Asphalt unter meinen Füßen spüren und wanderte auch sogleich drauf los. Aus irgendeinem Grund hatte ich noch genug Energie in mir, um mich direkt ins nächste Städteabenteuer zu werfen.
Über den Arc de Triomphe (welchen ich bis dahin in etwas größer Version in Paris nur in Tüchern verhüllt besichtigen konnte) geht es in das Stadtzentrum hinein. Ganz anders als in Marseille, warten auf mich saubere Straßen, ordentlich bepflanzte Grünflächen und gepflegte Fassaden aus vergangenen Zeiten in perfektem Zustand. Von der Hauptstraße, die vom Arc bis zum Place de la Comèdie führt, bin ich bei erster Gelegenheit abgebogen und auf bei Espresso auf einem kleinen Platz in einer Seitengasse gelandet.
Hier konnte man am späten Nachmittag schon so langsam den Puls der Stadt, der erst bei Nacht so richtig aufschlägt, spüren. Da habe ich mir beim Verzehr des Kaffees dann erstmal extra lange Zeit gelassen (was bei einem Getränk von 80ml schon fast schwierig sein kann), um diese Stimmung auf mich wirken zu lassen. Irgendwann war die Tasse dann aber doch leer und ich entschloss mich weiter zu ziehen. Hinein ins Herz der Stadt durch enge Gassen.
Die Lebenslust in dieser Stadt ist bemerkenswert. Genuss, egal wo man hinschaut. Dutzende kleine Cafés die ihren Gästen von Heißgetränken bis zu edlen Cocktails eine breite Palette an Flüssigkeiten nach draußen an die Tische auf dem Kopfsteinpflaster servieren. Aus den Nebengassen dringt moderne, euphorisierende Musik. Entweder aus den Lautsprechern einer Bar nach draußen dröhnend oder doch direkt live von Straßenmusiker durch die Straßen läutend. Gläserklirren, Aperitivos, Bier, gute Laune.
Mein Spaziergang führte mich immer entlang der engen Straßen. Ganz anders als in Italien, aber auf ihre eigene Art ebenso wundervoll gestaltet. Dies liegt auch maßgeblich an den vielen kleinen Boutiquen und Handwerksläden. Diese stellen die einzigartigsten Stücke zum Verkauf, bei denen man jedes Mal aufs neue abwiegen muss, ob man es sich leisten könnte, gleich den ganzen Laden zu kaufen. Dadurch kam ich nur langsam voran, denn gezwungenermaßen musste ich mehrmals anhalten und habe diesmal auch ein paar Kleinigkeiten ergattert.
Irgendwann wurde ich dann aber erlöst von dem Kaufrausch, denn die kleinen Gassen mündeten auf dem besagten Place de la Comèdie, der Hauptplatz Montpelliers.
Hier konnte ich ein reges Treiben anderer Art beobachten. Ein wenig mehr touristisch, so wie man es auch von anderen Metropolen Europas gewohnt ist. Doch schon bei der ersten Abbiegung kann man wieder ins nächste charmevolle Viertel abtauchen. Dadurch hält die Stadt ein sehr gutes Gleichgewicht, wie ich finde. So langsam musste ich die Metropole dann doch schon wieder verlassen, um weiter zu ziehen. Macht aber nichts, denn ich werde definitiv nochmal wieder kommen und alles ausführlicher erkunden!
Die Nacht habe ich daraufhin dann mitten im Nirgendwo in Meeresnähe unter Akazienbäumen und trockenen Sträuchern auf staubigen Sand verbracht. Fast schon dachte ich, ich bin ein wenig zu weit gerollt und in der Sahara gelandet, denn Afrika ist von hier unten aus ja auch nur noch einen Katzensprung übers Meer entfernt. Klimatisch macht sich das auf jeden Fall schon sehr bemerkbar. Zwischen zwei Hügeln konnte ich im Licht der letzten Sonnenstrahlen noch den fließenden Übergang zwischen den Blautöne des Meeres und des blauen Abendhimmels beobachten. Kurz darauf blitzten in der Dunkelheit der Nacht nur noch die Hafenlichter durch die Bergpassage, wurden aber noch von den hellen Sternen und dem dicken Mond hoch oben am Himmelszelt übertroffen.
Am nächsten Morgen ging es in aller Frühe direkt weiter. Der sogenannte „Ort des Buches“ wartete auf mich. Ein kleines Dorf, völlig unscheinbar auf halber Strecke zwischen Montpellier und Toulouse gelegen. Weitestgehend unbekannt und dadurch ein echter Geheimtipp, denn die kleine Ortschaft Montolieu birgt ein mächtiges Erbe.
20 Buchhandlungen auf 800 Einwohner zwischen kleinen Bergen an einem Fluss gelegen.
Als ich davon hörte, konnte ich es ehrlich gesagt gar nicht so richtig glauben. Daher musste ich natürlich einmal vorbeifahren und mich selber Überzeugen. Und ich kann sagen, den Erzählungen ist Glaube zu schenken. In der Länge misst die Ortschaft vielleicht gute 2000 Meter, doch zwischen den beiden Ortsschildern sind die Gassen bis obenhin mit wundervollen kleinen Buchhandlungen gefühlt. Dazu gesellen sich noch kleine Feinkostläden mit lokalen Produkten und viele sympathische Restaurants aus denen delikate Düfte durchs Dorf ziehen. Hin und wieder wartete auch eine kleine Kunstgalerie in einer Seitenstraß darauf entdeckt zu werden. Direkt angrenzend an ebensolche entdeckte ich auch kleines Café mit nur zwei Tischen die in einer kleine Gasse zwischen die Häuserfronten so platziert wurden, dass kein Meter mehr bis zur Fassade bleibt. Denn mehr Platz braucht es auch gar nicht. Zum Verlieben.
In dieser unglaublichen Ruhe, die nur hin und wieder mal durch das Miauen der Straßenkatzen durchbrochen wird, hätte ich mich nur zu gerne auf einen Kaffee nieder gelassen, doch das Lokal war „bis an den Anschlag“ besetzt.
Eigentlich wollte ich von hier aus noch weiter durch Frankreich ziehen und am Nachmittag in Toulouse ankommen, aber die Natur hat stärker nach mir gerufen. Daher schmiss ich meine Pläne kurzfristig über Board und steuerte meinen Kahn in Richtung Süden. Hinauf auf die Autobahn in Richtung Andorra und die Pyrenäen. Berge, frische Luft und sattes Grün.
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Hallo Ben, das sind ja eine Menge Eindrücke, die du hier beschreibst! Ich denke, dass Marseille, als geschichtlicher Schmelztiegel, einfach so viele unterschiedliche Facetten haben muss. Montpellier empfand ich auch als eine wunderbar jung(geblieben)e Stadt und bestimmt nicht nur wegen der vielen Studenten. Dieser kleine Ort Montolieu macht mich, durch deine Beschreibung, richtig neugierig. Konntest du herausfinden, warum es ausgerechnet dort so viele Buchhandlungen gibt? Folge weiterhin dem Ruf der Natur!
Ich bleibe neugierig.
Super,dass du diese Dorf gefunden hast. Bücher sind dort der Anziehungspunkt ,sonst würden keine Touristen dorthin fahren. Übrigens, Patrick Süskind-Schriftsteller hat u.a. auch dort gelebt. Bei uns gibt es ähnliche Dörfer,
Ich wünsche dir noch viele solcher Begegnung und genieße den Sommer und auch die schönen ,kraftvollen Gewitter mit ihren schönen Farben !