Nach dem Rückzug in die Natur, eingeklemmt zwischen der Idylle der Berge und danach am Meer entlang, hieß es für mich noch ein letztes Mal drei Metropolen Italiens mitnehmen, bevor ich das Land aus zeitlichen Gründen fürs Erste endgültig verlassen muss. Nach einer beschaulichen Fahrt durch die Berge mit Blick auf den Ozean ließ ich mich für die Nacht vor den Toren Genuas nieder. Viel Schlaf konnte ich hier allerdings nicht ergattern, denn es schlichen zwielichtige Gestalten um mein Auto. Sie schienen jedoch nicht angriffslustig, also Schritt ich zur Tat und vertrieb die Unruhestifter. Ich musste immerhin ein paar Stunden ruhen, bevor es ein weiteres Mal in den Trubel der Großstadt gehen sollte. Als ich am nächsten Morgen mit Freuden feststellen durfte, dass ich die Nacht überlebt hatte, rollte ich frohen Gemüts ins Zentrum der Hafenstadt. Von hier an reiste ich für die nächsten drei Tage in Begleitung. Wir hatten uns vorgenommen den ganzen Tag in Genua zu verbringen, doch schnell stellte sich heraus, dass hier nicht wirklich viel zu holen war. Der bunte und freundliche Eindruck, den diese Stadt aus der Ferne macht, wurde schon beim ersten Spaziergang durch die Häuserschluchten getrübt. Man muss es einfach so sagen, eine durchaus sehr dreckige Stadt, teuer noch dazu. Immerhin, am Tag zuvor hatte ich noch gelesen, dass dieser Ort ganze acht Museen beherbergt. Es stellte sich jedoch heraus, dass die meisten von diesen Museen über die Geschichte des Hafens oder des Ozeans erzählen. Alles nicht unbedingt unsere Hauptinteressen. Wir liefen also etwas ziellos durch die Straßen, für eine ziemlich lange Weile einzig und allein auf der Suche nach einem Lokal, dass uns Nudeln verkaufen würde. Denn wenn schon in Genua, dann wenigstens die kulinarische Expertise vollsten aus kosten. Pesto alla Genovese, am Ende nur zu ergattern in einem kleinen Café auf der Straße. Ein vorzügliches Nudelgericht, aber viel mehr auch nicht. Mit neuer Energie wollten wir nun noch einmal alles aus der Stadt rausholen, doch es sollte einfach nichts werden. Nachdem wir uns immerhin unbemerkt in das örtliche Universitätsgebäude schlichen und einen Blick durch verschlossene Türen in den ein oder anderen Vorlesungsaal werfen konnten, ging es dann noch einmal am Wasser entlang. Als wir noch ein Stück vom Hafen entfernt waren, fiel unser Blick auf ein Hochhauskomplex direkt am Wasser. Wir wunderten uns ein wenig über die Lage, freuten uns aber sehr, für all die Bewohner, deren Fenster die Aussicht aufs Meer preisgibt und dabei die dreckige Stadt im toten Winkel behält. Doch zu früh gefreut. Denn als wir näher kamen, verwandelte sich dieses Hochhaus in ein riesiges Kreuzfahrtschiff, das im Hafen angelegt hat. Man kann schon sagen, uns durchfuhr ein kleiner Schock, als wir realisiert hatten, welches Ausmaß dieses „Schiff“ wirklich hatte. So viel Zimmer, wie diese schwimmende Stadt hergibt, können einfach gar nicht belegt werden. Eine unglaublich Verschwendung an Ressourcen und ein Mangel an Sinn, der dann auch noch zur Verschmutzung der Meere und Luft führt, die niemals wieder gut zu machen ist. Ein schwerer Stein legte sich auf meinen Herz, bei diesem Anblick.
Hauptsehenswürdigkeit der eigentlich Stadt jedoch, soll der historische Hafen sein. Doch diesen kann man in weniger als 10 Minuten vollkommen umrunden, eine Augenweide war er ebenfalls nicht und von Historie kann bei den modernen Yachten an den Docks auch nicht die Rede sein. Um den Tag in der Stadt zu retten, besorgt wir uns noch ein Gelato und zogen dann am frühen Nachmittag hinaus aus der Metropole. Es ging in einen kleinen Ort direkt angrenzend an Genua am Meer. Eigentlich perfekt für einen Abstecher an den Strand, doch das Wetter spielt an diesem Tag ebenfalls nicht mit. Daher setzen wir uns nur kurz in ein Café und zogen dann ein Stück weiter in die Berge um den Stellplatz der Nacht zu erreichen. Wir hatten Aussicht über das kleine Fischerdorf und die dahinterliegenden Schaumkronen auf dem Meer. Dieses Panorama rettete den ganzen Tag und bot mehr Ästhetik als ganz Genua zusammen. Bei Mikrowellenreis aus dem Topf und kaltem italienischen Bier ließen wir den Tag ausklingen.
Der nächste Morgen wurde erst einmal mit einer längeren Autofahrt begonnen. Zweieinhalb Stunden Autobahn bis in die nächste Metropole. Beim Einfahren in die Stadt wurde von oben ein heftiger Regenschauer abgelassen, doch als wir dann gerade auf den Parkplatz rollten, kämpfte sich die Sonne ihren Weg zurück und ließ die nassen Straßen in neuem Glanze erleuchten. Schon die ersten paar Meter durch die Gassen Mailands ließen ein Gefühl von neuer Euphorie aufsteigen, vor allen Dingen nach dem Trauerspiel des gestrigen Tages. Die Stadt überzeugte uns von der ersten Minute an mit einem sauberen, modernen und dazu grünem Look. Von einem Randbezirk machten wir uns zu Fuß auf in Richtung Innenstadt und schlenderten an vielen Restaurants und kleinen Läden vorbei, alle jedoch im gänzlich anderen Stil als ich ihn von Italien bis jetzt kennen gelernt hatte. Sehr modern eingerichtet. Unter den Lokalen gab es diesmal aber auch sehr viele Ketten, die ich in anderen großen italienischen Städten schon vermisst hatte. Vermisst in dem Sinne, dass sie nicht aufzufinden waren, nicht dass ich lieber dort als in einem originalen Ristorante gespeist hätte. Es ging über große und oftmals mehrspurige Straßen, die wirklich im Kontrast zu den vielen engen Gassen andere Metropolen stehen, ins Finanzviertel der Stadt. Uns kamen elegant gekleidet Leute entgegen, Anzug und Bluse, die Arbeitskleidung der Moderne. Hin und wieder aber auch schrille, bunte Kleider und gemusterte Hemden, welche von höchsten Modebewusstsein zeugten. Zur Zeit findet auch wieder einmal die Fashion Week in Mailand statt, was vielleicht für neue Inspirationen in der Kleidungswelt sorgte. Es tummelten sich sehr viele Menschen auf den Straßen, es war wohl gerade Mittagspause in den Großraumbüros. Dieser Anblick und das rege Treiben erinnerten mich doch ein wenig an Berlin. Zumindest an das Zeitungsviertel, welches einen ähnlich modernen, kühlen Look hat. In den Straßen liegt der selbe unverwechselbare Geruch von Business.
Nach dem Mittag zogen wir immer weiter hinein ins Herz der Stadt, bis hin zum riesigen Dom und den Shoppingmeilen Mailands. Hier verkehren die Reichen und Schönen und werfen verächtliche Blicke auf die Touristen, die im McDonalds direkt neben ihrer Gucci Boutique in der Schlange stehen. Ein komisches, etwas trauriges Schauspiel. Das kreideweiße Gotteshaus baut sich mächtig und elegant in unglaubliche Höhe vor einem auf dem Domplatz auf. Einen Blick ins Innere konnten wir leider nicht werfen, aber man kann genauso gut einfach nur draußen vor der Fassade stehen und stundenlang über die detailreichen Freskos und Verzierungen wundern. Oder man gesellt sich für eine Weile zwischen die abertausenden Tauben auf dem Platz und macht es sich zur Aufgabe alle kleinen Türmchen auf den Dächern und Kuppeln des Bauwerkes zu zählen. Eine Beschäftigung, die einen sicherlich ebenfalls für ein paar Stunden auf Trab hält.
Von dort aus bot es sich an, hinüber zur ‚Pinacoteca Ambrosia‘ zu schlendern und in den Ausstellungssälen ein wenig Abkühlung zu genießen. Der Besuch lohnt sich auch deshalb allemal, weil das Museum ein paar echte Schätze der Kunstgeschichte wart. Neben einem echten Boticelli, wird eine riesige Skizzenarbeit (mind. ein Dutzend m²) von Rafael ausgestellt, die als eins von nur zwei Werken seinerseits gilt, von denen bestätigt ist, dass wirklich jeder Strich auf diesem Papier von seiner Hand stammt. Auch ein paar wirklich beeindruckende Gemälde von Bruegel sind ausgestellt, aber der große Stolz der Pinakothek ist definitiv die Sammlung von Originalskizzen DaVincis in einem Ausmaße, das mit großem Abstand weltweit einzigartig ist. Bei so viel gebündelter Kunst an einem Fleck, verbrachten wir ausversehen doch einige Stunden in den Gemäuern des Museums und der Tag zog ein wenig an uns vorbei. Daher traten wir so langsam den Rückweg zum Auto an, hatten aber noch einen ausgedehnten Spaziergang durch die Stadt vor uns. Über einen kleinen Umweg kamen wir noch an einer kleinen Kirche (was nicht schwer ist, bei der Unzahl an Gotteshäusern in Mailand) vorbei, verweilten aber nicht allzu lange im Innern, den dort bot sich uns ein ziemlich extremer Anblick… Die Wände des Saales waren übersäht mit menschlichen Totenschädeln. Denn neben dem Angriff auf unser Sehorgan, war auch der Geruch nur schwer in der Nase zu ertrage.
Vorbei an vielen kleinen Boutiquen und sympathisch eingerichteten Lokalen schlenderten wir im Schatten der vielen Bäume auf den begrünten Gehwegstreifen entlang und passierten danach alsbald die Tore Mailands mit dem Auto. Von hier aus ging es noch einmal weiter in Richtung Süden, wo schon die letzte Stadt unserer Dreitagesreise auf uns wartete.
Auf halbem Weg zwischen Turin und Mailand haben wir in einem beschaulichen Örtchen für die Nacht Rast gemacht und sind am nächsten Vormittag die letzten Kilometer über die Autobahn gerauscht. Wirklich bekannt ist diese Stadt im Ausland ja sicherlich in erster Linie wegen ihres Fussballclubs. Doch wir wollten mal herausfinden, ob sie neben dem Fußballstadion auch noch andere sehenswerte Dinge preisgeben möchte. Und in der Tat zeigte sich Turin von einer ganz anderen und wunderschönen Seite, als wir endlich das Auto abgestellt hatten und zu Fuß in die Innenstadt zogen. Wir parkten direkt neben dem berühmten Wochenmarkt, laut einem Online-Reiseführer sogar der größte Freiluft-Markt Europas. Doch leider wurde die Stände zu dieser Stunde schon abgebaut und aus dem riesigen Handelsplatz wurde eine karge Betonlandschaft. Naja, nächste Mal dann… Wir schritten also weiter und bewunderten den ausgedehnten Garten des Palazzo Reale di Torno durch die dicken Gitterstäbe von der Straße aus. Auf dem direkt anschließenden Piazza San Giovanni bogen wir ab und gelangten unter weißen Marmorbögen auf den Vorhof des Palazzos, während ein Straßenmusiker eingehüllt in den Nebel von Räucherstäbchen diese Szenerie auf seinem Hang mit einer harmonischen Melodie untermalte. Und von hier aus gelangen wir erst so richtig in den Trubel der Stadt. Es musste die letzte Woche vor den Sommerferien in Italien sein oder irgendein besonderer Tag, an dem alle Klassen des Landes Wandertage durchführen, denn es tummelten sich hunderte von Schüler:innen auf dem zentralen Platz der Stadt, dem Piazzetta Reale. Vor allem die Wasserspiele vor dem Palazzo Madama, dem Kunstmuseum der Stadt, hatten es ihnen angetan. Kinder und Jugendliche aller Altersklassen, sprangen durch die Wassersträhle, schmissen sich geradezu in die Fluten. Ich wusste zwar nicht, wie weit ihr Heimweg sein würde, aber bis auf die Unterhose durchnässt in einem Schulbus zu sitzen, stelle ich mir dann aber doch eher wenig spaßig vor. Für Kind, als auch Busfahrer:in. Dennoch, für den Moment und von außen betrachtet sah es nach einer spaßigen Angelegenheit aus. Über die Via Po gelangt man vom Piazzetta auf einer schnurgeraden Linie direkt bis ans Flussufer. Unter den Arkaden entlang, ging es vorbei an vielen Souvenir- und Kleidungsläden bis hin zum Ponte Vittorio Emanuele I. Doch bevor wir dort ankamen, mussten wir zum einen an dutzenden Bücherverkaufsständen vorbei, die uns jedes Mal aufs Neue in ihren Bann zogen und unsere volle Aufmerksamkeit beim Durchstöbern der etlichen Einzelstücke genossen. Zum anderen erstreckte sich an einer Stelle zu unserer Linken ein riesiger Torbogen mit eleganten Verzierungen, denn wir uns auch einmal von der anderen Seite anschauen wollte. Doch plötzlich standen wir schon im Innenhof des Universitätsgebäudes und befanden uns in Mitten einer Ausstellung der Environmental Photographers of the year. Die preisgekürten Bilder wurde in einem Viereck im Innenhof kostenlos ausgestellt und zeigten ausdrucksstarke, ja erschütternde Szenerien unseres Planeten und den schlimmsten Ausmaßen von Umweltverschmutzung. Und dort war von Indien bis Norwegen alles dabei. Dazu wurden 6 Photographien auf immens große Banner gedruckt und von den obersten Stockwerken in den Innenhof gehangen, sodass man selbst fast in der überfluteten Landschaft in Kansas oder den Smokwolken in Delhi stand. Danach schritten wir dann erstmal stillschweigend weiter in Richtung Fluss und versuchten die gerade gewonnenen Eindrücke zu verarbeiten.
Ablenkung schaffte die Chiesa Parrocchiale, die auf einem großen Sockel auf der anderen Seite des Pos thront und nur über eine kräftezehrende Treppenbesteigung zu erreichen war. Doch jede Schritt gen Himmel hat sich gelohnt, denn der Innenraum in seiner geometrisch perfektionierten runden Form ist schon etwas einzigartiges. Alles ist in elegantem und sauberen Weiß gehalten und statt Wandgemälden, wurden einfach ganze Kunstwerke mit Motiven der Bibel in Lebensgröße aus der Wand geschlagen. Solch eine vollendete und bis in die Haarspitze detaillierte Form der Kunst hatte ich bis dahin noch nie gesehen. Die Gesamtfläche vor dem Altar ist nicht besonders groß, doch der Raum will in der Höhe gar nicht mehr enden, sodass man sich wie in einer riesigen Halle auf kleinstem Raum fühlt.
Und damit schieden sich die Wege von mir und meiner kurzzeitigen Reisebegleitung auch schon wieder, denn es wartete schon ein Zug, der sie am späten Nachmittag von Turin nach Venedig geleiten sollte. Daher blieb nur noch Zeit für einen entspannten Spaziergang durch die Straßen Turins, bevor sie sich mit dem Klang der Zugpfeife auf in Richtung Westen machte. Ich ließ den Tag dann noch ein wenig in den kleinen Gassen Turins mit deliziösem Focaccia und unverwechselbar italienischen Eindrücken ausklingen und schlenderte langsam zurück zum Auto. Den Abschiedskuss gab mir Turin, mit einer Freilichttheatervorstellung im Garten des Palazzo Reale, die ich durch die gleichen Gitterstäbe wie zu Beginn des Tages für ein paar Minuten heimlich beobachten konnte. Allein schon die italienische Sprache hat einen unverwechselbaren Charme, sodass es ganz egal war, dass ich weder wusste welches Stück gespielt wurde, noch überhaupt kein einziges Wort verstand. Und damit neigte sich mein grandioser Italienaufenthalt so langsam dem Ende zu…
___