Nach der Wanderung stellte ich mich einer längeren Fahrt in die Abendstunden hinein, um mit Sonnenuntergang die wundervolle Stadt Lucca zu erreichen. 3 Stunden ging es Serpentinen auf und ab, daher war ich sichtlich froh gegen 21 Uhr den Van abzustellen und auf festem Untergrund einen Spaziergang in die Altstadt machen zu können. Ich war schon einmal hier, hatte die Stadt daher noch gut im Gedächtnis. Ebenso erinnere ich mich aber auch noch genau daran, dass ich mich hier vor gut einem Jahr in dem Labyrinth aus verwinkelten Wegen verlaufen hatte und eine ganze Weile brauchte um das Restaurant wieder zu finden, von dem ich damals losgeirrt bin. Nun stehe ich also vor den selben Häuserfassaden, diesmal jedoch in der dunklen Nacht und auch mein Handy könnte mir nicht aus Patsche helfen, da ich das letzte bisschen Datenvolumen für die Navigation zum Wanderweg verbraucht hatte. Ich wollte dementsprechend also kein Risiko eingehen und ging nur eine gerade Straße bis zum ersten großen Piazza entlang, prägte mir den Weg genaustens ein und hütete mich auch nur eine unnötige Abbiegung zu machen, die mir später zum Verhängnis werden könnte. Dennoch brauchte ich nach diesem überaus erschöpfenden Tag ein wenig Entspannung für Köper und Seele und gesellte mich bei Weißwein und Gelato in das sehr entspannte Nachtleben Luccas. Das letzte was ich an diesem Abend sah war nur noch die Spiegelung des Mondscheins in meinem eiskalten Weinglas, von dem kleine Wasserperlen den goldenen Rand hinunter glitten.
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Am nächsten Morgen schlenderte ich sogleich nachdem Erwachen wieder durch die Tore der 6 Meter hohen Ziegelmauer, die die Altstadt einmal komplett umrundet. Frühstück in einem Café sollte es werden, einziges Auswahlkriterium war diesmal aber nur die Verfügbarkeit von Wlan, da neues Datenvolumen immer noch auf sich warten ließ. Zwischen Sonnenblumen wurde mir im gleichnamigen Café frischgebrühter Espresso serviert. Dazu entschied ich mich für eine deliziöse Frühstückspizza und genoss den unmittelbaren Ausblick auf die ‚Basilica di San Frediano‘, während ich heimlich die Gespräche am Nebentisch von einer Gruppe Amerikanern belauschte. In Ruhe konnte ich dort den Tag planen und suchte mir die wichtigsten Stopps für heute raus. Zuerst einmal, wie sollte es auch anders sein, in die örtliche Kunstgalerie. Das ‚Museo Nazionale di Palazzo Mansi‘ beinhaltet die wichtigsten Kunstwerke aus und über Lucca. Die Sammlung wäre bedächtig größer ausgefallen, aber der damalige Lord von Lucca, Paolo Guinigi, der diese Villa bewohnte, hatte wohl einen Hang zum Glücksspiel, sodass er so gut wie seine gesamte Sammlung an Werken versteigern musste, um seine Schulden zu begleichen. Das war um 1430. Ein paar Jahrzehnte später empörte sich ein größerer Kunsthändler der Umgebung, dass den Bewohnern der Region dieses Kulturgut entrissen wurde und bemühte sich einige Werke seines Inventars der Öffentlichkeit zu vermachen, um dies wieder auszugleichen. Seit dem sind immer mehr Gemälde dazu gekommen, zu großen Teilen wohl auch von der Kirche und so entstand diese Ausstellung in den Gemäuern des früheren Wohnhauses. Sehr… sehenswert. Dazu wurden aber auch einiger der ehemaligen Wohnräume rekonstruiert, so zum Beispiel eines der vielen Gemache, welches eigens für die eine Hochzeitnachts seines Sohnes entworfen und reserviert war. Prunkvoll und mit Kunst übersäht, dazu einen Himmelbett aus feinster Seide und einer Deckenmalerei von Giovan Gioseffo Dal Sole, die die beiden Götter Psyche und Armor zeigen. Damit wollte der Künstler den beiden Verliebten in ihrer ersten Nacht als verheiratetes Paar die Verbindung zwischen Liebe und Psyche veranschaulichen. Oder aber auch zwei wachsame Augenpaare über sie an die Decke hängen… Höchst romantisch.
Nun hatte ich einen Blick in die Gassen, als auch in die Vergangenheit Luccas geworfen. Um einen Perspektivwechsel zu erlangen, kletterte ich dann die 230 Stufen des ‚Guinigiturms‘ (benannt nach der gleichen Familie und erbaut um ihre höhere Stellung allen Bürgern klarzumachen) und konnte im Schatten der Olivenbäume auf der Spitze über die Stadt und meilenweit darüber hinaus schauen. Lucca ist auf fast allen Seiten von mächtigen Bergen umgeben, die mit Wein und Olivenbäumen am Fuße und Schnee auf den Gipfel bedeckt sind. Ein herrlicher Ausblick, untermalt von einem Musikschüler der aus einem geöffneten Fenster seine schwere Tubamusik herausblies. Von dort aus erblickte ich auch schon mein nächstes Ziel, das mächtigste Gebäude der Stadt und eilte die zuvor erklommenen Stufen wieder hinunter.
Die Kathedrale von Lucca, der ‚Duomo di San Martino‘ ist eines der Wahrzeichen dieser Stadt, dennoch bei weitem nicht das einzig große Gotteshaus, denn wie ich in Erfahrung bringen konnte, wird Lucca von den Italienern auch die Stadt der 100 Kirchen genannt und anscheinend stimmt diese Charakterisierung sogar fast. Der Eintritt in die Kathedrale war fast doppelt so teuer wie im Museum, etwas fragwürdig, aber sei es drum. In einem Wort – überwältigend. In anderen Worten: pompös, prunkvoll, gigantisch, elegant. Die Kirche erstreckt sich weit in die Länge und breit mit ihren zwei Seitenschiffen. Verschiedenste Gemälde und Wandmalereien mit vollen, lebendigen Farben und der Altar nimmt die komplette Querseite am hinteren Ende des Gebäudes ein. Alles mit Gold umrahmt und verziert. Hinter dem Altar fällt das Sonnenlicht von draußen durch die wundervolle Glasmalerei in den Farben des Regenbogens in den Saal. Ich gehe in diese Gemäuer ja immer nur mit der Einstellung wie in einem Museum und vergesse dabei oft, dass diese prunkvollen Bauten ja Gotteshäuser sind, in denen auch heute noch Messe abgehalten wird. Wenn schon seinen Sonntagvormittag irgendwo in großer Menschenmenge verbringen, dann doch sehr gerne hier. Wobei das mit der Menschenmenge hier wahrscheinlich ausbleibt, denn obwohl der Innenraum so enorm groß ist, finden hier gerade mal um die 100 Leute auf den Bänken vor dem Altar einen Sitzplatz.
Von hier aus ist es nur ein kleiner Spaziergang bis zum ‚Piazza dell‘ Anfiteatro‘, der neben der Kathedrale definitiv zu den wichtigsten Wahrzeichen der Stadt gehört. Der Platz wird von bunt bemalten Gebäuden in einem Oval-Form umzogen und früher soll es hier anscheinend auch Gladiatorenkämpfe gegeben haben, die von den Fenstern der Wohnhäuser aus bejubelt werden konnten. Auf einen schnellen Mittagsespresso setzte ich mich in eines der zahlreichen Cafés vor Ort und war zugleich überrascht als auch erfreut heimische Klänge aus dem Restaurant nebenan zu vernehmen. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund spielten sie für ihr Gäste zu dieser Stunde Musik der deutschen Band ‚Annenmaykantereit‘.
Zum Abschluss stand noch ein Spaziergang auf der historischen Stadtmauer an und vom Café aus, schlängelte ich mich wieder durch die Gasse immer weiter vom Zentrum weg. Einige Straßen und Läden erkannte ich sogar vom letzten Jahr wieder, was aber kein gutes Zeichen war, denn an diesen Orten bin ich damals orientierungslos vorbeigeirrt. Diesmal habe ich es aber Zielsicher zum Schutzwall geschafft und konnte so auch den letzten Ort auf meiner Liste abhaken. Am Morgen hatte ich beim Gespräche Belauschen gehört, dass es hier auf der Westseite einen Brunnen geben sollte, aus dem das beste Trinkwasser der Stadt sprudelt, weil die Leitung wohl direkt aus Pisa hierher gelegt wurde. Besagten Wasserspender konnte ich auch finden, muss aber sagen an die Qualität deutschen Leitungswassers kommt es auch bei diesem famosen Herkunftsort nicht ran.
Beim verlassen der Stadt ließ ich mir noch eine Pizza auf die Hand geben, durfte mich nochmal ordentlich wundern als ich ein Schild entdeckte auf dem präsentiert wurde, dass Justin Bieber sich diesen Sommer wohl zu einem Konzert in diese Kleinstadt verirren wird und zog weiter Richtung Süden.
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