Maremma Nationalpark – Weißer Sandstrand

Morgens noch aufgewacht in einer dichten, nassen Regenwolke an der Spitze eines toskanischen Berges, stand ich zur Mittagsstunde schon an einem weißen Sandstrand mit türkisblauen Wellen vor mir. Sowas liegt nur in der Kraft der Göttin Europa.

Nachdem ich mal wieder wie in der Skiabfahrt tausende Serpentinen im Zickzack hinunter düsen musste, kam ich nach einer malerischen Fahrt über die holprige Autobahn im Nationalpark Maremma an. Ein unberührtes Stück Natur, direkt an der westlichen Küste Italiens gelegen, das unter den Entdeckern und Besuchern dieses Landes noch eher unbekannt ist. Dachte ich mir anfangs zumindest noch. Die 5 Euro Eintritt, die alle Besucher:innen vor dem Passieren bezahlen müssen, habe meine Annahme dahingehend noch bekräftigt. Aber als ich dann wenig später das Auto auf einem großen Parkplatz direkt neben dem dichten Wald geparkt habe, somit schon in dem Nationalpark stand, kamen mir die ersten Zweifel. Auch der massive Wanderweg, der in den Wald hineinführte und inzwischen so fest getreten ist, dass der getrocknete und gepresste braune Sand schon fast frisch verlegtem Asphalt gleicht, bestätigten diese Zweifel. Ein paar Informationstafeln verrieten mir in Englisch mit Google-Übersetzer-Akzent, dass dieser Wald größtenteils künstlich mit Pinien aufgestockt wurde um das ganze Gebiet vor dem Verfall zum Moor zu retten. Ein Nationalpark also, der gänzlich von Menschenhand besiedelt und angelegt wurde um die Natur vor der Natur zu retten. Das ist natürlich ein einleuchtendes Konzept… Nichtsdestotrotz trugen mich meine Beine an diesem Vormittag im Schatten der riesigen Baumplantage sehr leichtfüßig und geschmeidig und ich vergaß dieses Paradoxon schnell, da meine Gedanken schon längst in allen Richtungen flossen. Dazu der gleichmäßige Takt meiner Sohlen auf dem staubigen Untergrund, wobei das Auftreten meines linken Fußes immer wieder gänzlich anders klang, als das Knirschen unterm rechten. Irgendwann kam ich ans Ufer eines kleinen Flusses, dicht bewachsen auf beiden Seiten. Bunte Blumen standen still und ruhig am begrünten Erdstreifen am Wasserrand, während sich elastische Bäume aufgrund der schweren Masse ihrer kräftigen Blätter über den Fluss bogen. Von hier aus ging einer kleiner Pfad flussabwärts dicht am Ufer entlang und ich folgte ihm, denn ich nahm an, dies sei der offizielle Wanderweg. Wie sich herausstellte bin ich dabei aber doch von der Route abgekommen, hatte es bloß nicht bemerkt, da dieser abgelegene Pfad ebenfalls schon breit und karg getreten wurde. Doch auch hier ließ ich mich von der Tatsache, dieses massiven menschlichen Eingreifens in das zu bewahrende Biotop nicht lange aufhalten, denn unter meinen Füßen wurde es auf einmal weicher und aus dem trockenen Erdboden wurde auf einmal feiner weißer Sand, der unter meinem Gewicht bei jedem Schritt zur Seite wich. Eine hohe Düne baute sich vor mir auf und der Boden wurde immer instabiler, sodass jeder Schritt einer wahren Herausforderung glich. Doch es galt sie zu bezwingen, denn der Wind pustete schon leise Klänge von Wellenrauschen über die Spitze und mit ihnen der salzige Geruch vom Mittelmeer.

 

Das dichte Dickicht des Dschungels, in dem ich mich gerade noch befunden habe, verschwand und mit ihm auch die angenehme Kühle im Schatten, stattdessen brach die erbarmungslose Hitze der Sonne über mich herein. Jeder Schritt Dünenauf war erschöpfender als der gesamte Weg hierher. Der Ausblick von der Spitze aus wirkte jedoch belebend und euphorisierend auf mich. Vor mir baute sich ein endloser weißer Sandstrand in die beide Himmelsrichtungen auf. Die seichten blauen Wellen spülten verflochtene weiße Muster an die Küste, übermalten sie jedoch im Sekundentakt mit jeder weiteren Bewegung wieder. Zu meiner Rechten wurde der Strandabschnitt in der Ferne immer schmaler, sodass die dahinterliegenden Bäume irgendwann fast schon unmittelbar vom Wasser umspült wurde. Ich ließ meinen Blick nach links wandern und erkannte in weiter Ferne eine Landzunge, die sich vom Berg aus hinter mir weit in den Ozean vor mir erstreckt. Dieser Anblick von dem dicht bewaldeten Gebirge, dass unmittelbar in das malerische Weiß des Sandes mündet und dann im hellen Türkis des Meeres gänzlich verschwindet, erinnert mich an Bilder die ich so nur aus den tropischen Gebieten Südamerikas (er)kenne.

 

 

Angespültes Holz ist überall am Strand verteilt und wurde von kreativen Menschen zu kleinen Hütten oder stabilen Wänden zusammengewerkelt, die ein wenig Schatten spenden, sich aber ebenso hervorragend als Handtuch- und Kleidungsständer machen, während man sich selber gerade in die wilden Wellen hineinwirft. Eine unglaublich befreiende Erfahrung, das Schwimmen an diesem einzigartigen Strand. Ich legte mich flach auf den Rücken und ließ mich vom Wasser an der Oberfläche tragen, während die Wellen meinen Körper abwechselnd in die Höhe hoben und sachte wieder hinunter gleiten ließen. Ab und zu überkamen sie mich auch gänzlich und tauchten meinen Kopf leicht in das blaue Tief ein, aber auch das war in keinster Weise übergriffig, denn der salzige Geschmack auf meinen Lippen, der beim auftauchen blieb, weckte in mir Erinnerungen aus früheren Urlauben am Mittelmeer, die ich schon längst vergessen zu haben glaubte. Das Wasser war angenehm warm, ich saß schon in Badewannen die kälter waren, sodass ich eigentlich gar nicht mehr an den Strand hätte zurückkehren müssen. Aber unter der hochstehenden Mittagssonne packte mich der Hunger und ich kehrte zu meinem kleinen Lager am Strand zurück um mein Proviant zu verköstigen, während die Meeresluft das Wasser von mir abtrocknete und nur das klebrige Salz auf meiner Haut zurückließ.

 

Trotz Verpflegung fiel mir das Fortführen der Wanderung danach erstmal schwerer. Ich lief träge vor mich hin, denn aus dieser Erfrischung kehrte ich nun wieder unmittelbar in die erbarmungslose Hitze zurück und mein Weg führte mich einen steilen, steinigen Bergabschnitt hinauf. Doch auch diese Herausforderung lohnte sich, denn schon wenig später stand ich auf einem Felsvorsprung neben einem altem Wachturm der andächtig übers Land blickte und mir kühlen Kernschatten spendierte. Und diese Aussicht hatte es wirklich in sich. Es steht wahrscheinlich nicht in meiner Macht, diese Schönheit auch nur annähernd zu beschreiben, aber ich war im ersten Moment wirklich überwältigt von der Weite des Landes um mich herum, der Vielfältigkeit an Terrain und Arten, der einzigartigen Farbpalette. Ich überblickte den Wald, dessen Baumkronen einen dichten Teppich über eine nicht enden wollende Fläche webten. Nur der Fluss an dem ich mich zuvor noch durchs Dickicht entlang gekämpft hatte, wagte es, diese massive Einheit zu durchbrechen und zog sich in einer schnurgeraden Linie vom Gebirge direkt bis ins Meer. Hinter mir eine kleine Plantage mit Olivenbäumen, denen reichlich Platz zum Ausbreiten auf einer großen Weide gegeben wurde und daran anschließend ein hohes Bergmassiv, übersäht mit tiefgrünen Baumwipfel bis an den Kragen. Hier musste ich ein wenig verweilen und versuchte dieses Panorama mit allen Sinnen einzusaugen, während mein Shirt auf einem Felsen ausgebreitet lag, um sich von der Sonne trocknen zu lassen. Nur ich alleine und ein paar Geckos dort oben, einsam und in völliger Stille dieses Wunderwerk der Erde betrachtend.

 

Von dort oben musste ich mich wieder bergab durch wirklich enges Dickicht kämpfen und konfliktlos durch einige Sträucher vorpreschen, um auf dem Weg zu bleiben. Es wurde immer verwachsener, gleichzeitig wechselte das Biom, durch das ich wanderte gefühlt im Minutentakt. Gerade noch laufe ich im Schatten der besagten Olivenbäume über weichen Rasen in hellem Sonnenlicht, bin ich im nächsten Moment schon wieder umzingelt und  umschlossen von dichtem tropischen Wald in tiefer Dunkelheit und ein paar Augenblicke später finde ich mich in einer Umgebung wieder, die so auch in Afrika auf einer Safari zu finden ist. Kleine Hügel aus krustigem, roten Lehm türmen sich am Wegesrand auf, grüne Palmenblätter hängen von einem geriffelten, harten Stamm hinunter und unter meinen Füßen ockerfarbener, staubiger Sand. Trockene Luft in meinen Lungen und brennende Hitze auf meiner Haut. Und in Mitten dieser Steppe ein kleines Wasserloch, fast schon wie eine Fata Morgana. Fehlt nur noch das Hippo, dass mir seinen Kopf entgegenstreckt, während ich ihm beim erfrischenden Schlammbad stören. Doch das blieb zum Glück aus.

 

Beim Wandern fließen meine Gedanken geradewegs wie ein Wasserfall durch meinen Kopf und breiten sich in alle Richtungen aus, unter anderem kam mir bei diesem Anblick eine Bilderreihe in den Kopf, die ich erst am Tag zuvor gesehen hatte. Die Grafikserie von Salvador Dalí, die er auf Wunsch des Autors als Illustrationen zu ‚Alice im Wunderland‘ anfertigte und in einer Auflage des Buches sogar als Illustrationen veröffentlicht wurden. Ein bisschen fühlte ich mich in diesem Moment so, als würde ich gerade durch die Landschaften in Dalís Kopf umherspazieren.

Als ich am Auto ankam stand die Sonne schon tief und der Nachmittag war längst angebrochen. Vollkommen erschöpft, aber glücklich machte ich mich vom Parkplatz aus wieder aus dem Staub (im wahrsten Sinne des Wortes) und ließ die Landschaft hinter mir. Die Impressionen von diesem magischen Ort reisen jedoch von nun an mit mir mit.

Um noch einmal auf meine anfänglichen Zweifel zurück zu kommen-

Ich denke in Italien wird der Sachverhalt eines Nationalpark einfach anders definiert. Dem Zweck des Artenerhalts dient dieser Park wohl nur auf den ersten Blick, denn wird zwar der Wald und das Tierreich vor der Versumpfung bewahrt so gut es geht, aber mit der Anpflanzung von Baumarten, die so eigentlich nicht in dieses Biotop gehören und der teilweisen Rodung um dafür Platz zu machen, wird keine Rücksicht auf das bestehende Ökosystem genommen. Indem ein alter verfaulter Baum entfernt wird und dafür ein junger neuer Baum von Menschenhand gepflanzt wird, bietet sich zwar in einigen Jahren Raum für Nistplätze größerer Vogelarten, doch werden dabei auch abertausende kleine Insekten und dessen Lebensraum rücksichtslos vernichtet. Diese sind wahrscheinlich weitaus wichtiger für den Erhalt der Natur und das bestehen des Ökosystem als ein niedlicher Spatz. Aber dass Tierschutz meist nur auf Arten zielt, zu denen wir Menschen größere Empathie empfinden, ist sowieso ein viel weitreichenderes und weltweites Problem.

Auch wenn der Park vielbesucht ist und sich sogar ein paar asphaltierte Straßen durch den „naturbelassenen“ Wald ziehen, auf denen Busse durchrauschen, um abenteuerlustige „Wanderer“ in Strandnähe zu kutschieren, bietet er eine unvergleichliche Schönheit der Landschaft und ist wirklich sauber und Müll frei. Wenn man andere Ansprüche als unser deutsches Bild von Naturschutz an einen Nationalpark stellt, dann wurde hier alles richtig gemacht. Wenn man nach der Wikipedia Definition[1] von Nationalpark geht, wurde zumindest die Hälfte richtig gemacht…

 

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[1] Ein Nationalpark ist ein ausgedehntes Schutzgebiet, das meistens nur der natürlichen Entwicklung unterliegt und durch spezielle Maßnahmen vor nicht gewollten menschlichen Eingriffen und vor Umweltverschmutzung geschützt wird

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