Am Tag zuvor bin ich noch durch ein kleines Örtchen mit dem Namen ‚Pienza‘ geschlendert und schon stehe ich an diesem Morgen wieder in einer der Metropolen Italiens. Pienza erinnerte mich vom Aufbau der Stadt sehr an die Stadt des besten Gelatos der Welt, aber ist klar die verbesserte Version. Am Rande der Ortschaft steht man auf einer Stadtmauer und schaut hinunter ins Tal und auf hunderte Kilometer Toskana, während man im Innern der Stadt durch gemütliche kleine Gassen schlendert und sich von den Gerüchen der dutzenden Restaurants verzaubern lässt. An diesem Abend hatte auch die Fußballmannschaft der Kleinstadt den Pokal der Regionalliga gewonnen und diesen ruhige Idylle wurde von einer wilden Horde junger Männer in roten Trikots und Partylaune durchbrochen. Mal wieder ein höchst einzigartiges Schauspiel!
Doch nun stand ich vor einer Stadtmauer in ganz anderem Ausmaße. Der Wall, der die Altstadt Sienas umgibt, erstreckt sich gute 8 Meter in die Höhe und ist durch eine Reihe von dutzenden Olivenbäumen davor zusätzlich gestärkt. Ist man aber erstmal hinter die Mauer gedrungen, warten auf einen in der Stadt ebenso steile Abhänge zwischen den Häusern, sodass man in einigen Straßen diese 8 Meter Höhenunterschied bei einer Steigung von 40° nochmals zu bewältigen hat. Zum Glück war der Himmel heute ziemlich wolkenverhangen und die Temperatur am Morgen noch erfrischend kühl, sonst hätten mich meine Beine vielleicht schon in den ersten Stunden im Stich gelassen und ich hätte es gar nicht erst zum ‚Piazza Tolomei‘ geschafft. Dieser war allerdings überrannt mit riesigen Gruppen an Touristen die voller Tatendrang von einem Guide durch die Stadt geführt wurden. Beim vorbeiquetschen an den Menschenmassen konnte ich so immerhin ein paar Fakten über diese historische Stadt aufschnappen, da die meisten Führungen auf Englisch unterhalten wurden. Der Platz wird zum einen von dem Palazzo und Wohnhaus der gleichnamigen Familie eingerahmt, welche um 1100 in die Stadt als eine Sippschaft von reichen Bänkern kamen und den damaligen Umbruch in der Stadt zu ihren Gunsten nutzten, um einer der einflussreichsten Instanzen der Gemeinschaft zu werden. Ein wenig erinnert dieser Palast definitiv an das Wohnhaus der Medici in Florenz und auch heute noch befindet sich eine Bank im Erdgeschoss des Gebäudes. Dem gegenüber liegt eine kleine aber beschauliche Kirche, die ‚Chiesa di San Cristoforo‘. Leider für mich kein Besuch möglich an diesem Tag, da es einfach kein durchdringen der Menschenansammlungen auf diesem kleinen Platz gab. Also spazierte ich weiter in Richtung Stadtmitte über eine gut besuchte Shoppingstraße. Sehr charakteristisch und ziemlich einzigartig in Italien ist, dass all die Shops der modernen Marken oftmals in die historischen Fassaden eingebettet sind und auch vom äußeren Erscheinen etwas angepasst wurden. Die Stadt lässt also den modernen Umschwung gerne zu, bewahrt aber dabei wenigstens ihr charaktervolles altertümliches Auftreten. Dazu kommt ebenfalls, dass die meisten Altstädte autofreie Zonen sind. Nur kleine Müllautos und Busse zwängen sich hier durch die Menschen-massen.
Ein guter Ort um mitten im Stadttrubel ein Frühstück einzunehmen, doch die meisten Cafés auf dieser Shoppingmeile waren leider brechend voll, daher entschloss ich mich erstmal in die Seitenstraßen zu verschwinden und ließ mich dort auf einen wirklich exquisiten Espresso nieder, um den Tag zu planen.
Der Aufbau der Stadt bietet sich für eine relativ systematische Route zu Fuß an, auf der man schnell alle wichtigen Sehenswürdigkeiten erreichen kann. Ich startete mit der Hauptattraktion, dem ‚Piazza del Campo‘. Dort angekommen fällt einem auf jeden Fall zu aller erst der 84 Meter hohe Turm des ‚Palazzo Publicos‘ ins Auge, auch wenn von fallen keine Rede sein kann, da er trotz seiner Größe kerzengerade über dem rotgepflastertem Platz steht. Der Piazza erstreckt sich vom Palast in einem enormen Halbkreis, sodass die Tourigruppen hier deutlich mehr Platz finden um sich auszubreiten. Den ansonsten ist er nicht wirklich gefüllt. Gerade mal zwei, drei kleine Souvenirstände und ein kleiner Brunnen, der von wasserspuckenden Hunden befüllt wird, teilen sich diese riesige Fläche, gehen fast schon unter. Zwischen den Menschengruppen sonnt sich eine Frau auf den roten Ziegeln und ein Arbeiter reinigt diese mit einem altertümlichen Besen aus Stroh, ansonsten ist nicht viel los. Die bunten Häuser ringsherum sind fast schon wie ein Amphitheater angeordnet, ähnlich wie in Lucca, nur in deutlich größerem Ausmaße.
Hoch motiviert machte ich mich auf, um das Museum im Palast zu besuchen, denn für die Besteigung des Turm musste man sich unweigerlich auch für diese Attraktion das Ticket kaufen. 2 Stockwerke ging es in die Höhe und ich machte mich gefasst auf grandiose altertümliche Kunst von den großen Meistern Sienas. Genau 16 Minuten später stand ich aber auch schon wieder am Ausgang und das, obwohl ich den kompletten Rundgang im Museum gemacht hatte. Die Highlights dieses kleinen Spaziergangs waren da wohl zum einen eine riesige Wandmalerei und zum anderen der Museumsshop. Der Einlass zum Turm war nur zu einer festen Uhrzeit möglich und da ich mir etwas mehr Zeit für die Ausstellung eingeplant hatte, blieb mir jetzt erstmal nichts anderes übrig, als zu warten. So setzte ich mich wieder auf den Piazza Campo und machte mich noch ein wenig ans Menschenbeobachten, auch wenn außer einer wandernden Menschentraube nach der anderen nicht viel dabei war. Immerhin war der Himmel nun wieder mit flauschigen Wolken bedeckt, die einen angenehmen Schatten über unsere Köpfe warfen.
Irgendwann war es dann aber soweit und ich durfte die 500 Stufen des Turmes erklimmen. Sehr mühselig auf engstem Raum, aber die Gruppe von mutigen Abenteurern, die die selbe Uhrzeit wie ich für diese Besteigung ausgesucht hatten, litten ebenso wie ich. In dem Fall war geteiltes Leid definitiv nicht halbes Leid, aber das hallende Echo des angestrengten Stöhnens durch die Turmgemäuer war immerhin eine schöne Untermalung unserer Gefühlslage. Der Ausblick vom Gipfel hat sich definitiv dennoch gelohnt, denn vor einem erstreckt sich auf der einen Seite nach und nach die geballte Schönheit der mediterranen Landschaft. Dreht man sich um kann man von oben das rege Treiben auf dem Platz und in den abertausenden engen Gassen betrachten und es ist fast, als beobachtet man eine Ameisenkolonie auf ihren Straßen. Zugegebenermaßen eine sehr ungeordnete und zum Scheitern verurteilte Ameisenkolonie.
Nachdem wir es dann in gemeinschaftlichem Leiden wieder hinunter geschafft haben, weil unser 15 Minuten Zeitfenster am höchsten Punkt der Stadt geschlossen wurde, überkam mich doch ein Gefühl von Ernüchterung über die Ausbeute dieses Tickets für die zwei Hauptattraktionen der Stadt. Doch das Glück ist abermals mein stetiger Begleiter, denn ich war keine 5 Minuten weg vom Platz zu Fuß unterwegs, als mir das ‚Salvador Dali Museum‘ der Stadt seine Pforten öffnet. Kurzgesagt, ein gelungener Ausgleich zu der vorherigen Ausstellung. Es wird das gesamte Leben des Künstlers ausgestellt, betrachtet dabei aber nicht nur seine Kunst in Gemälden, sondern stellt neben einer Vielzahl von Skulpturen, auch sein großes Interesse an der Wissenschaft in den verschiedensten Bereichen aus. Der letzte Teil der Galerie ist eine Art Markthalle, in der man dann sogar ein paar Grafiken von ihm erwerben konnte. Leider war mein persönlicher Kunstberater zu diesem Zeitpunkt telefonisch nicht erreichbar, deshalb ließ ich an diesem Tage den Einkauf aus.
Trotz krampfhafter Suche nach einem Restaurant, das nicht völlig überfüllt war oder auch Einzelpersonen bedient, wurde ich lange nicht fündig, landete am Ende aber in einem doch ganz annehmbaren Lokal und ließ mir aufgrund sehr spärlicher Auswahl Nudeln mit Pfeffer servieren. Klingt im ersten Moment nicht unbedingt sehr saftig, war es auch nicht. Aber dennoch eine traditionelle Zubereitungsart von Pasta die ich gerne mal ausprobiert habe, zumal sie in dieser schönen Stadt hier erfunden wurde.
Danach sank meine Motivation für die weitere Erkundung Sienas jedoch immer mehr. Vielleicht waren es die Nudeln, die mir die Müdigkeit in die Beine drückten, vielleicht aber auch das ständige vorbeiquetschen an den ganzen Stadtführungen. Also entschied ich mich noch einen letzten Spaziergang durch die Gassen zu machen, fernab vom Zentrum und dem Gedrängel. Ich kam zwar noch einmal am berühmten Dom vorbei, dessen weiße Fassade mit tausenden prunkvollen und zierlichen Verzierungen sehr schön im Sonnenlicht glänzt, aber hielt mich danach nur bedeckt in den kühlen Seitenstraße und bahnte mir so langsam meinen Weg aus der Stadt. Ich hatte aber auch schon wieder sehr viele Eindrücke gesammelt und konnte so zufrieden und mit gesättigtem Gemüt abreisen…
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Hallo Ben,
wünsche Dir noch viel Spaß auf Deiner Reise und ich werde die Seite im Auge behalten.
Viele Grüße,
Herr Müller