Venezia – Eine Schaubühne der Theaterkunst

An diesem Morgen wollte ich schon recht früh aus der Kajüte kriechen, denn ein Ort von Kultur, Kunst und Kanälen wartete nur darauf von mir entdeckt zu werden. Mit dem Auto ging es im morgendlichen Berufsverkehr über die Brücke ‘Via della Liberta‘ bis kurz vor die Tore der schwimmenden Stadt. Vom Parkhaus der Wahl machte ich mich mit der Morgensonne im Rücken, zu Fuß auf, um die Entdeckungstour zu starten. 15 Minuten später überquerte ich die erste Brücke (von vielen an diesem Tage) und gelange sogleich in verwinkelte Gassen. Eine kühle feuchte Luft durchströmte meine Lunge. Zusammen mit den Einheimischen auf ihren morgendlichen Spaziergängen durch die noch menschenleere Stadt, schlenderte ich so dahin und wartete auf ein geeignetes Café für ein Frühstück italienischer Art am Straßenrand. Mir kamen viele Arbeiter verschiedenster Berufsgebiete entgegen, die allesamt körperlich harte Tätigkeiten auszuführen hatten. Da gab es zum Beispiel den Paketboten mit Sackkarre, überfüllt von riesigen Kartons, die er die Brücken hinauf und hinab schleppen musste, aber auch der mobile Mülldienst, die zu Fuß alle Müllsäcke der Stadt einzusammeln haben. Bauarbeiter die lange Metallstreben und Baumaschinen durch die Stadt tragen, während unter ihnen auf den Kanälen klitzekleine Boote lange Holzlatten übers Wasser manövrieren. Dass es keine Autos in der Stadt gibt hat seine Vorteile, bringt einen gewissen Charme mit sich, aber dabei vergisst man doch leicht, bei welchen Tätigkeiten des alltäglichen modernen Lebens das Auto, abgesehen von der Fahrt zum Supermarkt,  noch so essentiell ist.

In einer kleinen Nebenstraße fand ich dann eine geeignete Sitzmöglichkeit und genoss pasticceria e caffé. Unterdessen spielen kleine Zwergspitzhunde mit Tauben auf den Pflastersteinen vor der Bäckerei vergnügt Fangen. Während ich die Ruhe des Morgens noch in den kleinen Gassen verbrachte, füllte sich die Stadt immer mehr mit Besuchern und ich beschloss mich so langsam ins Getümmel zu werfen. Es dauerte auch nicht lange und schon stand ich auf der Rialto Brücke, dem Ziel Nummer eins für Venedig-Selfies, wie ich annehmen darf, denn die Brücke war brechend voll mit Menschen. Diese wollten den Kanal allerdings nur im Hintergrund auf ihrem Handy betrachten, während sie sich und ihre Liebsten selber ablichteten. Zu meinem Vergnügen wurde ich aber dennoch Zeuge einer völlig anderen Szenerie, man kann fast sagen die Uraufführung einer Komödie im echten Leben. Vier ältere Damen blicken über das Kanalpanorama vor ihnen. Allesamt reden sie deutsch, aber jede einzelne mit einer Tonlage geprägt von 70 Jahren Zigarrenrauch auf ihren Stimmbändern. Und mit dieser tiefen Whiskeystimme wird über die Touristen auf der Brücke hergezogen, die rücksichtslosen Nachbarn im Hotel und wo man denn den ersten Aperol des Tages herbekommen könne. Es ist 9:50 Uhr am Morgen, aber diese Damen haben wohl viel vor am heutigen Montag. Sie scheinen die Stadt unsicher machen zu wollen, also entziehe ich mich der Situation dann doch irgendwann, bevor ich auch noch zum Opfer dieser verbalen Enthauptungen falle.

Anscheinend ist diese Idee der Gesellschaft aber gar kein so skandalöser Einfall, denn vor den, in die gotische Baukunst eingebetteten Cafés, wird überall um mich herum unterm Sonnenschirm in kleiner und großer Runde Kaffee und Weißwein gleichermaßen genossen. Eine Lebenseinstellung des puren Genusses. Und bei der knallenden Sonne im Nacken, die die Stadt inzwischen schon auf angenehme 28°C erhitzt hat, kann ich den Wunsch nach einem kühlen Drink fast schon teilen.

Aber im Schutz des Schattens lässt es sich ebenso gut aushalten und so schlich ich von ‚Hauptstraße’ zu Hauptstraße über die von Tauben besiedelten verwinkelten Nebenstraßen. Dabei komme ich an vielen Kirchen vorbei, die allesamt erstaunlich unscheinbar zwischen die Häuserfassaden gequetscht sind und beim äußeren Betrachten unspektakulärer als eine Dorfkirche am Rande der Region wirken, sich beim Hineingehen aber über dutzende Meter erstrecken und weit in die Höhe gebaut sind. So zum Beispiel die ‚Chiesa di San Salvador‘, die ihre aus der Barocken stammende Schönheit des 16. Jahrhunderts erst von innen so richtig preisgibt. Es herrscht eine angenehm kühle Stille unter den imposanten Deckengemälden, ein guter Zufluchtsort von den rasenden Menschenmengen auf den Straßen. Raus aus dieser und rein in die nächste Kirche. Doch zuvor passiere ich den Piazza Carlo Goldoni mit seinem Abbild in der Mitte. Bewacht wurde der Platz von einem Polizisten in voller Montur und allem was so dazu gehört. Uniform, kugelsichere Weste, Maschinenpistole in der linken und natürlich die Shoppingtüte von GAP in der rechten Hand.  Die ‚Chiesa di San Zulian‘ öffnete mir als nächstes ihre Pforten. Ebenso unscheinbar von außen, ist sie im Innenraum aber mit prunkvoller Kunst von Kopf bis Fuße bestückt. Dieses pompöse Bild wird nur von zwei riesigen Lüftungsanlage an den Seiten des Altars gestört oder aber auch vollendet. Ringsherum reihen sich dennoch riesige Wandteppiche mit detaillierten Verzierungen, an den Seitenwänden vier grandiose Gemälden, verschiedenste Standbilder der Bibel und an der Decke krönen riesige Engelsköpfe, die aus den tragenden Säulen hervorstehen, das gesamte Ensemble. Im Hintergrund untermalt leise Kirchenmusik dieses Kunstwerk auch nochmal auf einer anderen Sinnesebene. Bevor es für mich ins nächste Gotteshaus geht, wollte ich doch erstmal wieder ins Getümmel und gelange zum Markusplatz. Auf dem Weg dorthin begleiteten mich Gondeln am Wegesrand, auf denen die Gondoliere in traditioneller Tracht eifrige Gespräche von Boot zu Boot unter den Brücken hindurch führen, während ihre reichen Passagiere das echte Venedig vom Wasser aus entdecken wollen, aber damit beschäftigt sind, mit Hilfe der Physik den richtigen Winkel des Selfiesticks für das perfekte Selbstportrait zu berechnen.

Das immergleiche Bild zieht sich wohl durch die gesamte Stadt, denn auf dem wirklich gigantischen Platz vor der ‚Basilica di San Marco‘, dem die Größe bei so vielen Menschen ganz recht kommt, reihen sich die Smartphones nur so aneinander. Aber wem kann man es schon verübeln, das eine oder andere Foto vor der Sehenswürdigkeit schlechthin machen zu wollen. Wenn nicht hier, mit Markusturm über seinem Kopf heraus ragend, wo dann? Das ästhetische Bild der Basilika wird dennoch durch Bauzäune und Gerüste der umfangreichen Renovierung an der Fassade gestört. Ebenfalls nicht ganz in dieses traditionelle Antlitz passt die elenlange Menschen-Schlange vor dem Eingang, die der prallen Sonne ausgesetzt ist. Doch auch von der Wartezeit einer guten Stunde unter extremster UV-Bestrahlung und keinem einzigen Fleckchen Schatten, lassen sich diese furchtlosen Abenteurer nicht abschrecken. Ich schon. Und so passiere ich die Schlange und lande am Hafen vor der Wassertaxi-Haltestelle am Markusplatz. Von hier aus blickt man raus aus der Lagune auf die ‚Guidecca‘, eine Insel mit den letzten venezianischen Bauten bevor das offene Meer anfängt. Doch die Sonne meint es an diesem Tag wirklich gut und ich möchte zwar mit brauner, aber nicht knallroter Haut die Stadt verlassen können. Also vom heißen Hafen wieder in die kühlen Gassen. Und schon stehe ich mit einem Fuße in der nächste Kirche. Die ‚Chiesa San Zaccaria‘ begrüßt mich im Innern mit einer sehr dunklen, dennoch eindrucksvollen Atmosphäre. Nachdem sich meine Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnt haben, erscheinen die riesige Wand- und Deckenmalereien von Giovanni Bellini vor ihnen. Abgebildet sind sowohl verschiedenste Szenen der Bibel, als auch Standbilder von Krönungen und Königszeremonien der Vergangenheit. Hinaus auf den Campo San Zaccaria und weiter in einen Stadtteil, der der großen Masse an Besuchern nicht viel zu bieten hat und daher von Touristen dünn besiedelt ist. In Castello ließ ich mich im ‚Giardini Napoleonici‘ im Schatten der Bäume nieder und ließ die Mittagsträgheit vorüberziehen. Auf meinem Weg zurück ins Zentrum waren Teile der Stadt fast wie leergefegt. Wahrscheinlich hatten viele den gleichen Gedanken wie ich oder trafen in einer der abertausenden Restaurants der Stadt ein. Mich packte aber so langsam auch der Hunger und ich machte es ihnen gleich. Mit einem Magen voll Nudeln lässt es sich nicht unbedingt leichter durch die Straßen ziehen, aber ich kämpfte dagegen an so gut es geht, denn ich hatte sowieso nur noch ein festes Ziel des Tages. Doch es half alles nichts. Bevor ich in die Ausstellung der früheren Kunstsammlerin Peggy Guggenheim eintreten wollte, musste noch ein Kaffee her, um meine Sinne ein wenig zu schärfen. Eine Entscheidung die mehr mit sich brachte, als ich erwartet hatte. Ich setze mich also in eine Nebenstraße des Museums an eine kleine Bar und nahm den Espresso an einer Theke direkt an der Straße zu mir. Dass ich mich genau für dieses Café entschieden habe war purer Zufall. Dass ich überhaupt noch mal vor der Ausstellung Rast suchte ebenso den Umständen geschuldet und dass ich diesen Ort erst am Nachmittag besucht habe und nicht wie geplant direkt am Morgen, reine Willkür. Nicht mal, dass ich diese Stadt genau an diesem Tag erkundete war lange geplant und eigentlich nur auf den Wochentag zurückzuführen. Was allerdings kein Zufall sein konnte, war die Begegnung mit einer aus der USA stammenden Bekannten von der Arbeit, die dort an mir vorbeischlenderten. Wir unterhielten uns kurz und ein Beweisfoto später ging jeder wieder seiner Wege, aber dass wir uns in einer riesigen Stadt wie Venedig auf einem riesigen Kontinent wie Europa über den Weg laufen, wobei sie gerade mal zwei Tage in der Stadt verweilte und nur beruflich in Italien war, kann ich auch im Nachhinein kaum greifen. Das Leben hat mich an diesem Tage wohl auf ganz eigene Bahnen gelenkt und das ohne mein Zutun.

Immer noch leicht benebelt von dieser Ereigniskette, welche diesem Zusammentreffen vorausgehen musste, trat ich in die Gemäuer des am Wasser liegenden Domizils ein. Guggenheim kaufte das Anwesen 1949 und füllte die Räume mit den Gemälden und anderen Kunstwerken ihrer Sammlung. So konnte ich große Kunst des 20. Jahrhunderts von bekannten und kleineren Künstlern verschiedenster Stilrichtungen bewundern. Die temporäre Sonderausstellung über Surrealismus und Magie war sehr lohnenswert. Unterdessen hat man sowohl die Möglichkeit auf einer Terrasse direkt am Kanal seinem Kopf eine kleine Pause von so viel großer Kunst zu verschaffen, oder aber im Skulpturengarten im Zentrum des Komplexes im Schatten der Hecken zu verschnaufen.

Da nun sowohl mein Körper, als auch mein Geist vollends gesättigt waren, entschied ich mir so langsam meinen Weg aus der Stadt hinaus zu bahnen. Bis zum Parkhaus war es immerhin noch ein gutes Stückchen. Mit den Umwegen die ich daraufhin nahm noch ein ganz schönes Stückchen weiter, weil ich mich doch das ein oder andere Mal verlaufen habe und an so einigen Straßenenden von einem Kanal ohne Brücke weit und breit gestoppt wurde. Naja, eine Stunde später konnte ich mein Parkticket dann endlich bezahlen und den Van wieder auf die Brücke in Richtung Festland manövrieren.

Immerhin gute zehn Stunden habe ich in Venedig verbracht, neun davon auf den Beinen, wie ich im Nachhinein mit erstaunen feststellen musste. Meine Füße ließen mich das auf jeden Fall spüren.

Alles in allem ein sehr erfolgreicher Tag, höchst ereignisreich und eindrucksvoll halte ich diese Zeit in der Stadt in Erinnerung. Ich bin froh, den Tag so früh begonnen zu haben, denn Venedig am Morgen war eine völlig andere Erfahrung als in den darauffolgenden Stunden und so konnte ich beides erleben. An Kunst, Kultur und Kanäle hat es wirklich nicht gemangelt, aber die Hauptattraktion waren wohl doch eher die verschiedensten Menschen und die Situationen, in denen ich sie beobachteten durfte.

Ich dachte nach diesem Tag kann der Abend nicht mehr viel für mich bereit halten, aber auf meinem Weg tiefer ins Landesinnere kam ich wenige Minuten später noch in ein heftiges Gewitter mit Hagelsturm, durfte den darauffolgenden Regenbogen über meinem Kopf bewundern und bin einem eindrucksvollem Sonnenuntergang über toskanischen Weinbergen entgegen gefahren. Nach so viel gebündeltem Trubel, habe ich mir erstmal ein paar Tage Ruhe inmitten von Natur und Einsamkeit genommen…

 

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Lyrikerin mit Hund am Kanal
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Urbiestone
Urbiestone
2 Jahre zuvor

Hallo Ben,
meine erste Bekanntschaft mit dieser einzigartigen Stadt ist auch noch nicht lange her und so hatte ich Gänsehaut beim Lesen deiner Eindrücke. Noch einmal schlenderte ich mit dir durch die Gassen, überquerte unzählige Kanäle auf kleinen Brücken, hörte die Rufe der Gondoliere, betrachtete, staunte, erschnupperte, schmunzelte, spürte wieder die Hitze der Jahreszeit und die wohltuende Kühle der Gassen … Es hat so einen Spaß gemacht!
Worum ich dich allerdings sehr beneide ist, dass du diese Stadt, wenigstens zeitweise, ohne riesige Touristenströme erkunden konntest.
Ich bleibe neugierig.

oma
oma
2 Jahre zuvor

Ja, Venedig hat seinen besonderen Reiz, wenn man weg ist von den Touristenströmen. Du hast dir leider keine Kahnfahrt, etwas abseits der großen Hauptroute gegönnt. Dort konnte ich einmal viele schöne Häuser und Fassaden betrachten und den Geschichten des Gondolliere, der gut deutsch sprach, zu den einstigen und jetzigen Bewohner hören.
Und es wird dir vielleicht sogar noch öfter passieren, das Du Bekannte triffst- die Welt ist halt klein.
Fährst Du auch nach Verona ? Dann nimmt Dir Zeit für eine Vorstellung in der Arena, egal was gespielt wird, es wird Dich beeindrucken und Du kannst wieder viele wunderbare Beschreibungen dafür finden.
Gute Weiterreise und bleib neugiering !

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