Alpenüberquerung

Erwachen mit Ausblick auf die schneebehangenen Bergspitzen durchs Fenster. Es ist 7 Uhr und totenstill. In Kombination mit dieser ersten Aussicht des Tages eine fast schon surreale Idylle. Die ersten Schritte setzte ich in Richtung des Hintersees. Ich befinde mich zwischen den hohen Tauen und der See liegt im wahrsten Sinne in der hintersten begehbaren Ecke der Bergansammlung. Wenige Meter vom Parkplatz entfernt stehe ich nun vor einem Gemälde, so scheint es zumindest. Die Sonne bahnt sich gerade ihren Weg über die Bergspitzen und das Gewässer liegt noch zur Hälfte im Schatten. Ich tauche meine Hände in klares, eiskaltes Wasser das ich meinem Gesicht zum Erwachen entgegenwerfe. Das Gebirge um mich herum ist übersäht mit Wasserfällen, die das geschmolzene Gletschereis von den Spitzen geradewegs in den Bergsee leiten. Es scheint als stehe ich im Paradies auf Erden. Auf der anderen Seite des Sees versucht ein Fliegenfischer sein Glück, mit Warthose  im seichten Wasser stehend und der Sehne in der Luft jonglierend rundet er dieses Kunstwerk der Natur perfekt ab. Ich bereite mir sogleich einen Kaffee zu und setzte mich auf eine Bank am Ufer um den Moment bestmöglich in mich aufzunehmen. Eine Portion Porridge später bin ich schon auf den Füßen um den Tag bei einer kleinen Wanderung so richtig zu beginnen. Der „Wanderweg“ mündet irgendwann auf einer großen Wiese, eher eine Alm, die sich an den Fuße des Berges schmiegt. Ich bin erstaunt, zugleich wird mir klar, dass ich sowas noch nicht kannte. Von hier an gab es nämlich keinen festen, von Menschen gemachten Wanderweg mehr. Oder zumindest folgte ich diesem definitiv nicht mehr. Die Natur führt einen auf von ihr errichteten Pfade. Ob es nun ein ausgetrockneter Auslauf eines Wasserfalls ist oder eine Blumenwiese, welche an einer bestimmte Stelle karg ausfällt und einem so den Weg geleitet. Alles scheint perfekt geplant und ist doch nur aus einer Mischung des Zufalls und Zeit entstanden. So folge ich einem der besagten Blumenwiese ein wenig über die Alm bis mich der Gedanken umtreibt, ob es denn nicht möglich wäre zu diesem einen rauschenden Wasserfall zu gelangen. Fazit: es ist anstrengend, es ist mühsam, es war keine Wanderung mehr, sondern eher eine Bergbesteigung, ABER es ist möglich. Belohnt für diesen Akt des Willens werde ich mit einem Ausblick von einem Felsen am Fuße des Wasserfalls aus auf hohe Bergen, ein weites Tal und ein malerischen See in der Mitte. Verschwitzt, aber erfüllt trete ich den Weg bergabwärts an und springe noch einmal kleiderlos in die bittere, belebende Kälte des Hintersees, bevor ich die Räder des Vans weiter Richtung Süden bewege.

Meine Alpüberquerung zieht sich so dahin, ist aber gefüllt mit wundervollen Aussichten und Asphalt, der über, durch und unter die Berge führt und mich schließlich bis nach Südtirol bringen. Kurz hinter der italienischen Grenze bin ich, der Natur geschuldet, gezwungen sehr oft einfach so am Straßenrand anzuhalten um diese malerischen Landschaften mit der Kamera zu dokumentieren. Ich komme vorbei an den ‚drei Zinnen‘ und lege ebenso einen Zwischenstopp am in schimmernden türkis gefärbtem ‚Lago di Landro‘ an. Mein Ziel für den Tag sollte eigentlich das Südtiroler Örtchen ‚Cortina d’Ampezzo‘ werden, welches sich zwar als angenehmer Zwischenstopp herausstellte, aber auch nicht wirklich viel mehr als eine einzige Kirche und tausende Bekleidungsgeschäfte anbot. Wohl eher ein Skiortgebiet im Winter, der nicht sonderlich auf Besucher außerhalb der Hauptsaison Wert legt. Dennoch neigte sich der Tag dem Ende zu und ich wollte mein Gesäß von der langen Fahrt auch mal so langsam ein wenig Erholung gönnen. Ein bisschen weiter Flussabwärts wartete der Stellplatz der Nacht aber schon auf mich. Ein ruhiger Parkplatz direkt hinter dem Ortseingangsschild (auf dem Vermerkt ist, dass Hupen in diesem Gebiet gänzlich verboten ist) eines klitzekleinen Dorfes, gelegen am Bergeshang. Mit Ausblick auf den Vollmond über den Berggipfeln bei (ausgenommen ein paar einzelnen Wölkchen am Himmelszelt) sternenklarer Nacht, sind die Eindrücke des Tages dann seelenruhig ausgeklungen…

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Urbiestone
Urbiestone
2 Jahre zuvor

Hallo Ben!
Ich bin dir weiterhin gefolgt und erlebe gern deine Reise mit.
Es ist schon ungewohnt und eigenartig, wenn einen Stille so anbrüllt, stimmt’s?
Und sich in einem der Paradise der von uns oft so geschundenen Erde wiederzufinden – was für eine schöne Erfahrung das sein muss! Und wie du es mit allen Sinnen genießt – herrlich zu lesen.
Ich bleibe neugierig.

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